Johann Strauss I
Chinese Galopp
op. 20 (1828)
In den Friedensjahren nach dem Wiener Kongress (1814/1815) blühte das gesellige Leben in Wien auf. Die Stadt war erfüllt von Musik: Ludwig van Beethoven und Franz Schubert schrieben unvergängliche Werke, aber auch die Tanzmusik in den vielen kleinen Lokalen in der Kaiserstadt und in ihren Vororten konnte durchaus Anspruch auf künstlerischen Rang erheben. An der Spitze der Musikdirektoren und Komponisten wienerischer Musik standen in den Jahrzehnten des Biedermaier Joseph Lanner und Johann Strauss (Vater). In den Bürgerhäusern tanzten die Wiener noch alte Tänze, die «Deutschen» und die «Schottischen», die ihnen eine ganze Serie geschickter Komponisten, mit Franz Schubert an der Spitze, unermüdlich aufspielten. In den Tanzlokalen waren der neue «Wiener Tanz», der Walzer, und die rasanten Galoppaden gefragt, bei denen sich die Lebenslust und Lebensfreude der Menschen voll entfalten, ja austoben konnte. In den Jahren 1827 und 1828 schrieb der 23-jährige Johann Strauss (Vater), damals bereits Vater seines Sohnes Johann, Walzer und Galoppaden in Serie. Anregungen für die musikalische Gestaltung griff er auf, wo er sie finden konnte: in der Theatermusik wie in den Volksweisen aus dem Umlands Wien. Auch das damals «Exotische» erregte sein Interesse. Daher schrieb er auch die «Chineser Galoppe», obwohl er wahrscheinlich niemals einen Sohn aus dem «Reich der Mitte» gesehen hatte. In Wien kannte man chinesisches Porzellan und war auch mit der chinesischen Malerei so einigermaßen vertraut. Aber von der Musik aus dem Weltreich in Ostasien wusste man so gut wie nichts. Daher nahm sich Strauss für einen genialen Einfall der Galoppe, die ja nur aus wenigen Takten bestehen, wahrscheinlich die damals in Wien als «türkisch» bekannte Musik zum Vorbild, und tatsächlich erinnern die «Chineser Galoppe» an das «Alla Turca» von Wolfgang Amadeus Mozart. Das kleine Werk wurde sofort populär: die Wiener kosteten es aus, wo immer Strauss es ihnen aufspielte. Der erste Teil wurde stets wiederholt, und wenn das Stück verklungen war, applaudierten die Tänzer und Zuhörer bei den «Zwey Tauben», beim «Weißen Schwan» und im Lokal «Zur Kettenbrücke» am Ufer der Donau so lange, bis Strauss mit seinem kleinen Orchester die Galoppaden wiederholte. Unter Jubel und Begeisterung ging es weiter, bis die Tänzerinnen und Tänzer erschöpft waren. Strauss triumphierte: rasch wurde er der beliebteste Tanzgeiger und Komponist der Kaiserstadt. Als die «Chineser Galoppe» im Jahre 1828 im Druck erschienen, war die Auflage sehr rasch ausverkauft. Nun erklangen sie auch in den Bürgerhäusern und bei den Hausbällen. Die Tanzmode wechselte: aber die «Chineser Galoppe» wurden nicht mehr vergessen.
Text: Prof. Franz Mailer
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